Gemeinsam mit Expert*innen aus Deutschland, der Ukraine, Russland, Usbekistan und den s¨¹dkaukasischen L?ndern Armenien, Aserbaidschan und Georgien besch?ftigen sich die Studierenden in Arbeitsgruppen mit gewohnheitsrechtlichen Traditionen, die die Lebensbedingungen von Frauen im Kaukasus wesentlich determinieren. Dazu z?hlen die Ursachen und Folgen der weit verbreiteten h?uslichen Gewalt, wirkm?chtige Geschlechterrollen und -normen im Islam und Christentum und die auch daraus resultierende prek?re soziale Lage von LGBTIQ+, hegemoniale Maskulinit?t und weiteren Themen. Erg?nzt wurden die Onlineseminare im November 2022 von einem gemeinsamen Blockseminar mit dem aserbaidschanischen Wissenschaftler Ramil Zamanov und Erasmusstudierenden an der Karlsuniversit?t Prag sowie dem Besuch der kaukasischen Teilnehmer*innen im Dezember in Potsdam. Im M?rz landete das Reallabor dann zum Gegenbesuch in der georgischen Hauptstadt Tiflis ¨C just zum Zeitpunkt heftiger zivilgesellschaftlicher Proteste. Hintergrund war das Vorhaben des georgischen Parlaments, ein ?Gesetz gegen ausl?ndische Agenten¡° zu verabschieden, das sein Vorbild in Russland hat. Damit soll die unabh?ngige Zivilgesellschaft in Georgien kontrolliert und ihre Handlungsoptionen massiv eingeschr?nkt werden.

F¨¹r die Studierenden waren die Erfahrungen w?hrend dieser Exkursion von besonderer Intensit?t:

?Es scheint, als w?ren wir die Reise zu einem Zeitpunkt angetreten, welcher konfliktgeladener kaum sein konnte. Eine t?gliche Anti ¨C LGBTQI+ Demonstration 50 Meter neben unserer Unterkunft im Zentrum der Hauptstadt gab uns bereits am ersten Abend eine Idee von der gro?en Kontroverse, wenn nicht gar Ablehnung innerhalb der georgischen Gesellschaft bez¨¹glich queerer Diversity, Anerkennung und Akzeptanz. Doch davon sollte man sich in Tiflis nicht t?uschen lassen. Im Laufe der Woche entdeckten wir immer mehr queerfreundliche Orte, wie Bars, Clubs oder eben NGOs, welche stark darauf bedacht sind, denjenigen einen Ort zur Verf¨¹gung zu stellen, welche nicht das heteronormative System reproduzieren.

Unser Terminkalender wurde von einem bevorstehenden Gesetzesbeschluss durcheinandergebracht, welcher NGOs als vom Ausland finanzierte Agenten identifizieren sollte. Die Auswirkungen dieses Gesetzes waren nicht nur f¨¹r eben jene betroffene gemeinn¨¹tzige Organisationen fatal, denn sie bedeuteten eine politische Ann?herung Georgiens in Richtung Russland. Folglich wurden wir Zeugen von einer mehrt?gigen Demonstration, gar Rebellion, der ganzen Stadt gegen die georgische Regierung. Ich empfand es als unglaublich beeindruckend, wie viel Organisationstalent, Durchhalteverm?gen und Zielstrebigkeit sich innerhalb k¨¹rzester Zeit in der ganzen Stadt mobilisierte. Es sei anzumerken, dass sich hier unter anderem auch f¨¹r LGBTQI+ freundliche NGOs, feministische NGOS, etc. eingesetzt wurde.

Gl¨¹cklicherweise kamen wir schlie?lich doch noch in den Austausch mit einigen Organisationen, welche sich f¨¹r Frauenrechte und die der LGBTQI+ Community einsetzen. Ich muss gestehen, dass ich ¨¹berrascht war, wie facettenreich und komplex sich deren Arbeit gestaltete und welchen Einfluss und Beitrag sie somit in der Gesellschaft leisten. Ich untersch?tze bisweilen den Einfluss solcher T?tigkeiten, vor allem auf politischer Ebene. Ebenfalls empfand ich den Austausch ¨¹ber sozialarbeiterische Praktiken als sehr hilfreich und bereichernd. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie wertvoll internationale Vernetzung f¨¹r alle Beteiligten sein kann.

Ich verlasse das Land deutlich aufgekl?rter, aber auch umso verwirrter. Es scheint, als w?re Tiflis mitten in einem gro?en gesellschaftlichen Wandel. Man trifft auf stark verankerte konservative, patriarchale, queerfeindliche Werte, Traditionen und Haltungen und zugleich bietet Tiflis verschiedene ?ffentliche safe spaces und feministische Bewegungen, welche ganze Arbeit leisten. Bei Gespr?chen mit Passanten ?u?erten sich einige sehr liberal und offen f¨¹r Diversity, bei anderen hatte ich den Eindruck, dass LGBTQI+ und Frauenrechte noch Fremdw?rter sein k?nnten (kann einem nat¨¹rlich auch genauso in Deutschland passieren!).

M?glicherweise hat die Stadt sich noch nicht entschieden, in welche Richtung sie gehen m?chte, es bleibt nur zu hoffen, dass ihr die Entscheidung nicht von der Regierung abgenommen wird.¡°
¨C Gabriel Calero Sequeira

?Das Interessanteste w?hrend der Reise waren nat¨¹rlich die ganz neuen Eindr¨¹cke der georgischen Kultur. Ich habe so viel Neues dar¨¹ber gelernt, wie die Menschen im Kaukasus leben, was sie essen, wie gew?hlt wird, wie die Politik funktioniert, wie die Soziale Arbeit funktioniert und wie der Gro?teil der Menschen wohl denkt. Verwirrt hat mich aber doch, wie verschiedene Ansichten zusammengehen. So unz?hlbar viele Menschen haben sich am Frauentag versammelt und sind gemeinsam auf die Stra?e gegangen, um sich gegen Russland und klar zu Europa zu positionieren. Und trotzdem gab es jeden Tag diese Mini-Demos gegen LGBTQI+ vor dem Kino (s. Foto). Hier verstehe ich nicht, wie so viele Menschen ja irgendwie westliche Werte und Normen einfordern, aber eben nicht alles akzeptieren wollen, was zu dieser westlichen Welt dazugeh?rt.

Des Weiteren sind mir durch mein Interview mit einer Moskauer Nordkaukasus-Genderexpertin noch einmal die riesigen Unterschiede zwischen Nord- und S¨¹dkaukasus bewusst geworden. Vor meiner Reise habe ich das gesamte Gebiet mehr oder weniger ¨¹ber einen Kamm geschoren und nicht erwartet, dass die Situation in Tschetschenien noch so viel versch?rfter ist, als in Georgien.¡°
¨C Wiebke Kr¨¹ger

?Ich fand es super spannend, dass wir uns mit NGOs trafen und sie von der aktuellen Lage berichteten und ihrer sozialen Arbeit in unterschiedlichen Projekten, meist f¨¹r LGBTQI+ Menschen. Ich finde den Austausch zwischen Sozialarbeitenden super wichtig, da wir viel voneinander lernen k?nnen. Ich bin sehr dankbar, dass diese Studienreise dies erm?glicht hat. Ich wurde inspiriert von dem Kampf und Eifer der NGOs, ausl?ndische Spenden zu bekommen, um ihre Projekte weiterhin finanzieren zu k?nnen.¡°
¨CClarissa Neugebauer Da Silva Sarmento

Im Sommersemester wird das Reallabor mit Onlineseminaren, einer weiteren gemeinsamen Veranstaltung an der Karlsuniversit?t und der FHP sowie einer Reise nach Aserbaidschan fortgesetzt.

Ein herzlicher Dank geht an das Ausw?rtige Amt, das dieses Reallabor, die Reisen wie auch die Verdolmetschung der Seminare finanziell erm?glicht hat sowie an den Projektpartner KommMit e.V.!